
Danja Schockenhoff
Head of Strategic Risk & ESG Consulting, Marsh Advisory
Traditionelle Maßstäbe wie Umsatz und Gewinn genügen längst nicht mehr, um den zukünftigen Erfolg eines Unternehmens zu antizipieren. Unternehmen achten verstärkt auf eine nachhaltige Unternehmensführung. Eine große Anzahl regulatorischer Neuerungen hilft ihnen dabei zu identifizieren, was „nachhaltig“ ist, sich danach auszurichten und ihr Wachstum zunehmend von ihrem Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. ESG hat sich in diesem Zusammenhang als Konzept etabliert, den Grad der Nachhaltigkeit anhand der Bewertung der Dimensionen Umwelt (E), Soziales (S) und Unternehmenssteuerung (G) zu messen. Es wird sowohl von den Anbietern von Nachhaltigkeitsratings angewendet als auch innerhalb von Standards der Nachhaltigkeitsberichterstattung, wie der künftig in der EU verpflichtenden Berichterstattung nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Sie verpflichtet erstmalig eine große Menge an Unternehmen, ihre Nachhaltigkeitsperformance offenzulegen. Mit dieser Regelung verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, Marktakteuren zu ermöglichen, ihre Investitions- und Einkaufentscheidungen an der Nachhaltigkeit von Unternehmen auszurichten. Die EU-Taxonomie bildet dabei einen wichtigen Bestandteil der zukünftigen CSRD-Berichterstattung. Sie bietet ein Klassifizierungssystem für „ökologisch nachhaltige Geschäftsaktivitäten“ und verfolgt sechs Umweltziele, darunter den Klimaschutz sowie die Anpassung an den Klimawandel. Wirtschaftsaktivitäten können einen Beitrag zur Erreichung eines Umweltziels leisten und damit als „nachhaltig“ ausgewiesen werden, wenn sie die in der Taxonomie für die jeweilige Aktivität gelisteten Kriterien erfüllen bei gleichzeitiger Nichtbeeinträchtigung anderer Umweltziele und der Einhaltung sozialer Mindeststandards. Damit verdeutlicht die Taxonomie nicht nur, wie nachhaltig die Aktivitäten eines Unternehmens bereits sind, sondern sie zeigt auch die notwendigen Anpassungen auf, um eine Aktivität in Zukunft als nachhaltig klassifizieren zu können. Sie ist damit ein wichtiges Steuerungsinstrument für eine nachhaltige Transformation.
Im Fokus der Nachhaltigkeitsbestrebungen der internationalen wie auch der europäischen Gemeinschaft steht bislang die Eindämmung des Klimawandels durch die Reduktion von Emissionen mittels effizienterer Energienutzung und dem Ersatz fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energieträger. Während die Gesetzgebung Unternehmen bislang nicht per se zur Offenlegung ihrer Emissionen verpflichtet, so gehört die Veröffentlichung einer Treibhausgasbilanz anhand anerkannter Standards, wie beispielsweise dem Greenhouse Gas Protocol, mittlerweile zu einer guten Unternehmenspraxis. Die Offenlegung der Treibhausgasemissionen ist dabei in verschiedene Kategorien („Scopes“) unterteilt.
Das Messen von CO2-Emissionen ist der Ausgangspunkt für Unternehmen, um gezielte Maßnahmen zur Reduktion der eigenen Emissionen zu ergreifen und mögliche verbleibende Restemissionen auszugleichen. Dies ist auch ökonomisch von Bedeutung, da die Besteuerung von CO2-Emissionen zunimmt. In der Europäischen Union regelt das EU-Emissionshandelssystem (EU EHS) diese Besteuerung, indem es von Unternehmen verlangt, Emissionszertifikate zu erwerben, um ihre CO2-Emissionen abzudecken. Zu den Neuerungen gehören die schrittweise Senkung der Obergrenze für Emissionen, die Einführung von Auktionen für die Zuteilung von Zertifikaten und die Erweiterung des Systems auf zusätzliche Sektoren, wie Gebäude und Verkehr. Ergänzend zum EU EHS besteht in Deutschland das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG), welches für den nationalen Bereich gilt, der nicht vom EU EHS abgedeckt wird und sich hauptsächlich auf die Lieferanten von Brennstoffen konzentriert. Obwohl die Menge an regulatorischen Neuerungen verwirrend und überwältigend erscheinen kann, haben viele Unternehmen die Bedeutung einer nachhaltigen Ausrichtung für sich erkannt. Während Unternehmen vor allem in ihren bestehenden Grenzen Lösungen zur Transformation finden müssen, spielt der Nachhaltigkeitsbeitrag auch bei M&A-Transaktionen eine strategische Rolle.
Die Abwendung von fossiler Energie und die Förderung erneuerbarer Energien als Maßnahme zur Erreichung der europäischen und nationalen Klimaziele stellten energieproduzierende Unternehmen frühzeitig in den Fokus von Gesellschaft und Gesetzgebung und zwangen diese, über eine strategische Neuausrichtung nachzudenken. Eine schnelle Verbesserung der eigenen Nachhaltigkeitsleistung kann dabei durch gezielte Investitionen oder aber auch durch Veräußerungen von Unternehmensteilen erreicht werden. Ein Unternehmen, welches fossile Brennstoffe produziert, sieht sich beispielsweise mit dem Risiko konfrontiert, dass sein Kohlekraftwerk zu einem unveräußerlichen Vermögenswert werden könnte. Es sollte daher prüfen, wie das eigene Geschäftsmodell transformiert werden kann und was diese veränderte Ausrichtung für die weitere Nutzung der eigenen Vermögengegenstände bedeutet. Ein Ergebnis kann sein, das Kraftwerk bestmöglich zu verkaufen. Umgekehrt kann der Zukauf von Produzenten erneuerbarer Energien oder von Unternehmen, welche die zugehörige Infrastruktur im Einklang mit den EUTaxonomiekriterien herstellen oder betreiben, die eigene Nachhaltigkeitsperformance signifikant verbessern.
Ein solch strategisches Vorgehen ermöglicht es Unternehmen, die eigene Beteiligung an schädlichen Treibhausgasemissionen zu reduzieren und sich als ein Akteur im Energiebereich zu positionieren, der aktiv zur Dekarbonisierung und nachhaltigen Entwicklung beiträgt. Diese Neuausrichtung macht das Unternehmen für seine Kapitalgeber attraktiver und verdeutlicht an einem einfachen Beispiel, wie gezielte M&A- Strategien einen positiven Beitrag zur eigenen ESG-Performance leisten. Somit wird die ESG-Performance ein zentraler Punkt bei M&A-Transaktionen.
Bei den genannten Beispielen handelt es sich um transformative Transaktionen, welche es den Energieunternehmen ermöglichen, ihre Geschäftsmodelle anzupassen und zur Energiewende beizutragen.
Die Bedeutung des Faktors „Energie“ in Unternehmenstransaktionen anderer Branchen, welche hauptsächlich Nutzer von Energie sind, findet bislang viel weniger Beachtung. Dabei spielen Energie und die damit verbundenen Emissionen in den meisten M&A-Transaktionen eine wichtige Rolle. Ein Blick in die Unternehmensbilanzen in Verbindung mit der Regulatorik macht dies sofort deutlich.
Neben einer regulatorischen ESG-Due-Diligence, welche Bestandteil eines jeden Kaufprozesses sein sollte, sollten sowohl physische als auch transitorische ESG-Risiken bei der Wertermittlung eines Unternehmens berücksichtigt werden. Bei der Bewertung des Beitrags eines Zielunternehmens zum Klimawandel sollten verschiedene Überlegungen eine Rolle spielen, insbesondere im Hinblick auf den Energieverbrauch und auf die Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeiten. Dabei können, ausgehend von der Analyse der Unternehmensbilanz, folgende Aspekte eine Rolle spielen:
Welche standortspezifischen Rahmenbedingungen sind zu berücksichtigen, einschließlich potenzieller Naturgefahren, Möglichkeiten zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen und der Energieeffizienz der Gebäude?
Welche Beteiligungen bestehen und wie steht es um deren Nachhaltigkeitsbewertung?
Entscheidend ist, dass die konkreten Fragen der ESG-Due-Diligence und ihre jeweilige Gewichtung individuell auf Rahmenbedingungen der jeweiligen Transaktion zugeschnitten sind.
In Deutschland werden etwa 40% der energiebezogenen CO2-Emissionen Gebäuden zugeschrieben, daher gehört die Immobilienbranche zu den ersten, in denen die ESG-Performance einen bedeutenden Einfluss auf M&A-Transaktionen hat. Der Druck zur Dekarbonisierung in diesem Bereich, wo eine CO2-Bepreisung nach dem BEHG durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen für die Gebäudebeheizung erhoben wird, ist besonders hoch.
Eine entscheidende Entwicklung für Investoren, welche große Portfolios an Wohnimmobilien halten, ist, dass bei emissionsreichen Gebäuden nach dem „Stufenmodell“ und dem Gesetz zur Aufteilung der Kohlendioxidkosten (CO2KostAuftG) auf den Vermieter bis zu 95% der CO2-Steuer umgelegt wird. Da es ab 2026 keinen Festpreis mehr für Emissionsrechte geben wird, dürfte dies zu größeren Umschichtungen in den Portfolien von PE-Firmen führen.
Ein weiteres, zunehmend entscheidendes Kriterium für institutionelle Investoren ist eine Zertifizierung der bewirtschafteten Gebäude nach DGNB (Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Baues), LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) oder BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Method), insbesondere in der Kombination mit der Prüfung der Möglichkeit zur Einführung von „grünen Mietverträgen“.
Eine solche Zertifizierung betont die Nachhaltigkeit von Immobilienobjekten und setzt gleichzeitig ethisches Verhalten von Eigentümern und Entwicklern voraus.
Die Zertifikate berücksichtigen auch die Lebenszykluskosten und die Ökobilanzierung von Bauteilen und Baustoffen über den gesamten Lebenszyklus der Immobilien. Dabei werden Aspekte wie Ressourcengewinnung, Herstellung, Nutzung und Entsorgung betrachtet. Ein wachsender Trend besteht darin, die graue Energie, also den in Gebäuden und Baustoffen gebundenen Kohlenstoff, zum Beispiel durch den Einsatz von Holz als Baustoff zu reduzieren.
Zusätzlich wird durch „Green-Building-Zertifizierungen“ angestrebt, den CO2-Ausstoß über die gesamte Nutzungsdauer der Gebäude zu minimieren, beispielsweise durch zertifizierte Nullemissionsgebäude oder Plusenergiegebäude, wie es das EU-Paket „Fit for 55“ vorsieht.
Ein grüner Mietvertrag, auch als „Green Lease“ bekannt, bezieht sich auf einen erweiterten Bestandsvertrag, der darauf abzielt, die nachhaltige Ausstattung, Bewirtschaftung und Nutzung von Immobilienobjekten zu fördern. Die konkreten Gestaltungsmöglichkeiten eines solchen Vertrags sind vielfältig. Ein Green Lease umfasst beispielsweise Regelungen zu einem gemeinsamen Nachhaltigkeitsverständnis, zu Verbräuchen und CO2-Emissionen, zur Reduzierung von Abfällen sowie zur ökologisch unbedenklichen Durchführung von Erhaltungs-, Modernisierungs- und sonstigen Baumaßnahmen. Durch solche grünen Mietverträge können Immobilienunternehmen nicht nur ökologische Ziele verfolgen, sondern auch ihre Attraktivität im Hinblick auf die strenger werdenden regulatorischen Anforderungen steigern und der zunehmenden CO2-Bepreisung entgegenwirken.
Weiterhin ist es auch bei Immobilien unbedingt erforderlich, die EU-Taxonomie mit ihren Kriterien in die Bewertung einzubeziehen, da bestehende Gebäudezertifizierungen die Taxonomie-Anforderungen bislang nicht eins zu eins abbilden.
Eine gründliche ESG-Due-Diligence ist ein unverzichtbares Instrument für Unternehmen, welche langfristigen Erfolg und Widerstandsfähigkeit anstreben. Sie dient der Risikominimierung und dem Zugang zu Kapital und ist Teil der Schaffung neuer Geschäftsmodelle. Es zeichnet sich bereits heute ab, dass Unternehmen durch eine proaktive Auseinandersetzung mit ESG ihren Marktwert steigern können und Verkäufer solcher Unternehmen eine starke Position in Kaufpreisverhandlungen innehaben.
Die Entwicklungen sind dabei nicht nur von regulatorischen Anforderungen geprägt, sondern spiegeln auch das wachsende Bewusstsein für nachhaltiges Wirtschaften bei Investoren und Akquisitionspartnern wider. Der Faktor Energie spielt bei der Bewertung eine entscheidende Rolle, da klimaschädliche Emissionen im Fokus von Geldgebern, Regulatoren und Gesellschaft stehen. Entsprechend hoch ist der Einfluss einer guten oder schlechten klimabezogenen Performance auf die Bewertung eines Unternehmens. Wem es gelingt, im Transaktionsprozess die Treiber der Treibhausgasbilanz des jeweils individuellen Geschäftsmodells richtig einzuschätzen, wird erfolgreich die damit verbundenen Risiken und Chancen einpreisen und sich auf dem dynamischen Markt positionieren können. Wenn dabei gleichermaßen selbstbewusst ein umfassendes ESG-Profil als Entscheidungsgrundlage einer Transaktion herangezogen wird, so sind die wirtschaftlichen Vorteile greifbar.
Erstveröffentlichung in der M&A REVIEW 4/2024
Head of Strategic Risk & ESG Consulting, Marsh Advisory